News

 

PHILOSOPHIE
Nov -0001


PHILOSOPHIE
Architektur

Das Bauen für Menschen ist wohl die vornehmste und zugleich intimste Aufgabe in der Architektur. Die eigentliche Kunst dabei besteht einfach darin, im Sinne von Adolf Loos, nicht der Verlockung zu erliegen, Architektur als Kunst zu verstehen. Daraus entsteht nämlich die offenkundige Phobie vieler Kollegen gegen Partizipation, die einen fruchtbaren Dialog mit den künftigen Nutzern verhindert. Man verhindert damit auch, dass von den „Bauherren/frauen” durchaus auch sinnvolle, lebensnahe Beiträge für die Planung eingebracht werden können. William Alsop meint: „Offenheit und die Einbeziehung der künftigen Nutzer in den Entwurfsprozess sind Voraussetzungen für eine zeitgemäße Architektur”.

Architektur als Ausdruck von Individuum und Gemeinschaft war auch angestrebtes Ziel bei R. Unwin und B. Barker. Dem Gesamtbild der Siedlung sollte ein stringenter Maßstab angelegt werden, der es dann erlaubt, dem einzelnen Haus völlige Freiheit im Detail bei der äußeren und natürlich auch innere Gestaltung zu geben. Freie Bauherren/frauen-gemeinschaften verwirklichen in individueller Eigenständigkeit Projekte, in überschaubarem Maßstab, Quartiere, welche die Mängel früherer Stadtentwicklungen (soziale Segregation, anonymes Gestaltungsdiktat und defizitäre Urbanität etc.) vergessen lassen. Das Ergebnis ist lebendig, urban, vielfältig und in der Vielfalt beinahe malerisch romantisch. Und letztlich waren das, genau betrachtet, auch immer die ungeschriebenen Regeln der Gestaltung unserer historischen Siedlungsstrukturen Dorfanger, Platz und Markt, eben der zum Abbild gewordene Konsens einer harmonischen, menschlich überschaubaren und funktionierenden Gesellschaft.

Raumordnung

Aus raumordnungspolitischen, städtebaulichen, sozialen, ökonomischen  und ökologischen Gründen sollte jede öffentliche Förderung des nicht kinderfreundlichen Einfamilienhauses nach Südtiroler Vorbild bundesweit eingestellt werden. Die Wohnform des Einfamilienhauses trägt wenig bis gar nichts zum sozialen Lernen von Kindern bei und fördert bei alten Menschen die Vereinsamung. Dem entgegen stehen gemeinschaftliche Wohnformen, von denen auch die Eltern profitieren können:  in Zeiten, wo alte Familienstrukturen (wo es z. B. obligat war, dass die Großeltern für die Kinder da waren) mehr und mehr verschwinden, dafür immer öfter Eltern mit ihren Kindern ganz allein sind, was ein ziemlich unnatürlicher Zustand ist – vgl. das afrikanische Sprichwort ”Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen”. Die aus dem Fördertopf für Einfamilienhäuser freiwerdenden Gelder sind für die Förderung von nachhaltigen Wohnkonzepten einzusetzen. Der Kongress „Charta von Athen” forderte bereits 1933 im Artikel 73:

„Die Stadt muss auf geistiger und materieller Ebene sowohl die Freiheit des Einzelnen

als auch das Interesse des Gemeinwohls sichern. Allen städtebaulichen Planungen ist der Maßstab des menschlichen zugrunde zu legen”.

Experiment

Architekten sind dringend aufgerufen experimentelle und phantasievolle Wohnkonzepte zu entwickeln die geeignet sind, die Menschen von der herrschenden Alternativlosigkeit zwischen Massenwohnbau und Einzelhaus zu befreien. Diese Konzepte müssen alle humanethologischen Bedürfnisse erfüllen und eine so überzeugende Architektur bieten, dass die unökologische Alternative im „Grünen Ghetto” weitgehend obsolet wird. Diese Modelle müssen ganz besonders auch dem menschlichen Bedürfnis nach ständigem ambivalenten pendeln zwischen Individualität und Gemeinschaft Raum bieten. Nach Ebenezer Howard (Gartenstadtbewegung um 1900) ist der attraktivste Platz für die Gemeinschaft zu suchen und auszuführen, kein anderer Ansatz macht wirklich Sinn. " Es geht um das harmonische Gleichgewicht zwischen sozialer Ordnung und individuellem Persönlichkeitsrecht, da das richtige Maß beider nötig ist, um die größtmögliche persönliche Freiheit innerhalb einer funktionierenden Gemeinschaft zu garantieren." Amitai Etzioni (Professor u.a. an der Havard)

Das Wohnumfeld

Das Wohnumfeld ist für Jung und Alt wesentlicher Faktor für ein lebenswertes Dasein. Dieser Umstand wird umso bedeutender, je älter ein Bewohner ist. Wir wissen, dass sich der Aktionsradius im Alter massiv einschränkt und letztlich nur noch den Wohnbereich umfasst. Also braucht es eine sorgfältige Gestaltung des physischen und psychischen Umfeldes und nicht nur die in der Bauordnung festgelegte Raumstrukturen und behindertengerechte Grundrisse. Und wenn dann die Fußläufigkeit gar nicht mehr gegeben ist, muss die Sichtverbindung nach draußen in eine qualifizierte Umgebung den Ersatz ermöglichen. Umgekehrt ist die Eroberung des Umfeldes durch das  Kleinkind zu beobachten, das meiner Erfahrung nach bereits im Krabbelalter das Territorium der privaten Wohnung verlassen will, wenn es nicht durch geschlossene Türen daran gehindert wird. Eine offene Türe in eine halböffentliche Zone lässt ein Kind schon früh auf Entdeckungsreisen gehen, immer mit dem Wissen der jederzeitigen Rückzugsmöglichkeit bei drohender Gefahr. Natürliche Entwicklungen dieser Art dürfen baulich nicht eingeschränkt werden.

Kleine Netzwerke

Der Mensch ist, nach Eberhard Richter, ein „soziales Wesen” und deshalb bedarf es kleiner Netzwerke zwischen dem Individuum und dem Staat, die unbewusst ein Gefühl von Sicherheit und „Heimat” bieten. Auf die Notwendigkeit dieser gegenseitigen Ergänzung von Individuum und Gemeinschaft hat bereits Ebenezer Howard 1901 hingewiesen. Besonders für Bevölkerungsgruppen ohne Lobby, unter anderen auch die allein erziehenden Mütter und Väter, sind solche kleinen Netzwerke unabdingbar. Das ist eine immer größer werdende Gruppe mit hoher Doppel- und Mehrfachbelastung durch Broterwerb, Kindererziehung, Haushalt. In einem Wohnmodell, dass einen familienübergreifenden Zusammenhalt und gegenseitig zwangloser Unterstützung in allen möglichen Lebenslagen bietet, reduziert für diese Menschen die alltäglichen Probleme, gibt Ihnen das Gefühl der Geborgenheit und schafft damit eine lebenswertere Basis, eine Heimat.

Altenheime

sind eine inhumane Institution der Ausgrenzung aus der Gesellschaft und einem Land mit sehr hohem Wohlstandsindex nicht würdig. Ein Blick in die 3.Welt lehrt sehr überzeugend, dass wir hier den falschen Weg eingeschlagen haben, den es zu verlassen gilt. Verbunden damit ist auch ein oft unterschätzter Werteverlust, wenn wir auf die Lebenserfahrung alter Mitmenschen vollkommen verzichten. Es ist aber auch ein Ausdruck hoher sozialer Kälte, wenn den Vorfahren gegenüber nicht die notwendige Anerkennung gezollt wird. Bei allen Planungen muss die gewachsene Gesellschaft im Sinne christlicher Werte ihren angestammten Platz finden. Ganz abgesehen von den sozialen Lasten die sich die Gesellschaft hier aufbürdet und schon in allernächster Zeit nicht mehr tragen wird können. Eine mögliche Alternative stellen Wohngruppen von Wahlverwandten dar, die mit gegenseitig freiwilliger Hilfsbereitschaft beseelt, eine sozial tragbare Gemeinschaft schaffen können.

 

Das Atrium

" Befreites Wohnen"

 

”Schön ist ein Haus, das unserem Lebensgefühl entspricht.

Dieses verlangt Licht, Luft, Bewegung, Öffnung (   ).

Schön ist ein Haus, das gestattet, mit Himmel und Baumkronen zu leben.

Schön ist ein Haus, das an Stelle von Schatten Licht hat.

Schön ist ein Haus, dessen Räume kein Gefühl von Eingesperrt sein aufkommen lassen.

Schön ist ein Haus, dessen Reiz aus dem Zusammenwirken wohlgefüllter Funktionen besteht.“

Das beschreibt Siegfried Gideon 1929 in seiner Schrift `Befreites Wohnen`.

 

Es gibt verschiedene Baukörper, auf die Gideons Beschreibung passt. Doch sie passt auf nichts so gut wie auf Atriumgebäude oder Hofhäuser. Seit Jahrhunderten und über Architekturgenerationen hinweg wurden und werden sie in vielfacher Interpretation gebaut. Die Konstante dabei ist stets der zum Himmel geöffnete Innenhof. Er verleiht dieser Bauform die ihr eigene Charakteristik und Zeitlosigkeit – und ist gleichzeitig das, was sie für Nutzer wie Besucher faszinierend werden lässt. Wer ein Atriumgebäude betritt, erlebt diese Faszination stets aufs Neue. Sie entsteht aus der Helligkeit, die das Atrium selbst und die angrenzenden Räume durchströmt. Was folgt ist ein Ablauf, der man sich nicht entziehen kann: Innehalten, nach oben schauen, das Tageslicht erkennen, Orientieren. Es dauert nur Sekunden, doch diese reichen, um den Ort in eine andere Wahrnehmung zu rücken. Er ist nicht mehr zu Haus, sondern ein Ort der Schutz bietet, ohne die Außenwelt auszuschließen; der Atmosphäre ausstrahlt, ohne dabei aufdringlich zu sein; der das Zusammenleben fördert und gleichzeitig die Chance zu Intimität bewahrt. Wer ein Atriumgebäude plant, muss sich an den Grundbedürfnissen und dem sinnlichen Empfinden des Menschen orientieren und der Integration des Gebäudes in den Kontext des Ortes orientieren. Erst dann offenbart es sein besonderes Potenzial als architektonisches Ausdrucksmittel.

Der ursprüngliche introvertierte Charakter des Hofes hat durch die aktuellen Architekturtendenzen eine Neu-Interpretation erfahren. ”Mit dem neuen Verständnis von Architektur, das sich von den Zwängen der Baugeschichte befreite und die Möglichkeiten der Industrie, Technik und neuer Materialien in ihre Konzeption mit einbezog, konnten sich aus dem freien und nicht überdachten Innenhof des klassischen Atriums, große, mehrstöckige glasüberdeckte Höfe und Hallen mit hohem repräsentativen Gehalt entwickeln. Das Atrium wurde zum Ergebnis.” Diese neuen Möglichkeiten bergen Chancen, aber auch Risiken. Denn ein Atriumgebäude ist ein komplexes System, das vor allem an die Planung große Herausforderungen stellt. Um die vielfältigen Funktionen, die ein Atrium erfüllen kann, erfolgreich umzusetzen, ist eine sorgfältige Bedarfsabklärung notwendig. Wenn es gelingt, ökonomische, ökologische, technologische, stilistische und nicht zuletzt natürlich auch die ´sinnlichen’ Faktoren bei der Planung zu vereinen, kann das von Gideon beschriebene´ Zusammenwirken wohlerfüllter Funktionen´ entstehen.

Gelingt dies nicht, dann verwandelt sich das Atrium schnell in eine Ansammlung nicht genutzter Chance. Die Ergebnisse sind bekannt: Wir alle kennen die zwar teure, aber nutzlose Einheitsarchitektur der austauschbaren, hochglanzpolierten Erschließungshallen, ausgeführt in einer zur Anonymität führenden Ideen- und Gedankenlosigkeit. Dazu kommen oft planerische Mängel wie sommerliche Überhitzungsprobleme und winterliche Durchzugserscheinungen. Die obligatorische ´Kunst am Bau´ setzt schließlich, in den meisten Fällen, das  i- Tüpfelchen, als Ausdruck einer ´Sinn-Losen’ Architektur. Diese Atriumgebäude werden zu reinen Repräsentationsbauwerken reduziert, welche in ihrer Wirkung leblos und ohne sinnliche Atmosphäre sind.

Im Gegensatz dazu sind die Atriumgebäude zu sehen, die den Menschen, seine Wahrnehmung und seine spezielle Verantwortung gegenüber Umwelt und Ort in den Mittelpunkt ihrer Konzeption stellen. Atriumgebäude, die für den Benutzer zu einer sinnlichen Erfahrung werden, Sie entstehen durch ganzheitliche Planung. Diese Planung ist auf die Bedürfnisse, durchaus auch die repräsentativen Bedürfnisse, des Bauherrn abgestimmt, ist auf langfristige Ziele ausgelegt, bezieht frühzeitig alle relevanten Disziplinen ein, ist an den Standort angepasst und berücksichtigt ökologische wie ökonomische Aspekte. Dadurch wird eine Ressource schonende, nachhaltige und im Sinne einer höheren Wertschöpfung ´sinnvolle’ Umsetzung der Planungsaufgabe Atriumgebäude ermöglicht. In diesem Sinn agierende Bauherrn und Architekten sind sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Menschen, der Umwelt und dem Standort bewusst und können sich der positiven Wirkung in Medien und Gesellschaft sicher sein.

Angesichts zunehmender Komplexität und Planungsgeschwindigkeit, stetig steigender Kosten- und Zeitdruck, knapper werdender Ressourcen (ökologisch wie ökonomisch) und dem immer stärker ausgeprägten Mangel an emotional erfahrbaren Bauwesen könne wir es uns nicht leisten, das in Atriumgebäuden liegende Potential brach liegen zu lassen, Atrien stellen eine sinnvolle architektonische Herausforderung dar. Wir sollten uns ihr stellen!

 

(Autor: Dr. Peter Schwehr, Stv. Leiter ZIG, HTA Luzern)

 

 

 

 

 


« aktuelle Artikel ältere Artikel »